Istanbul.
4 Monate später.
Studium. Leben. Alltag.
Ich sitze auf dem Bett mit meinem Laptop auf dem Schoss. Viele Gedanken schießen mir durch den Kopf, grobe Themen, schöne Erinnerungen, spannende und verstörende Ereignisse und die ein oder andere Istanbul-Geschichte aus den letzten 4 Monaten. Erst jetzt merke ich wie schwer es doch ist diese Zeit zu bündeln, zu strukturieren und aufs virtuelle Blattpapier zu bringen. Hilfreich zum Lösen dieses Problems könnte das Kerzenlicht, (das gerade ich durch das Flutlicht von Energiesparlampe an der Decke ohne Lampenschirm ersetzt habe) und die sanften inspierenden Töne der Nujabes Musik sein.
Clever wie ich bin verwende einfach mal den letzten Absatz meines
vorherigen Blog-Eintrags als Aufhänger um diesen hier zu starten: Die Frage
nach dem Studium. Neben 3 chemischen Fächern
(Biochemie, Organische Chemie und Statistik) habe ich noch einen
„türkischen Tanzkurs“, „Einführung in die Psychologie“ und einen „turkish
Language-course“ im letzten Semester
belegt.
Obwohl ich auch vielen Sachen in meinem deutschen Studium
eher kritisch gegenüberstehe und vor Allem mit Aufbau und Organisation nicht
besonders glücklich bin, so ist das im
relativen Vergleich mit einigen Sachen die ich hier erlebt habe doch noch ganz
in Ordnung. Verstörend für mich zum
Beispiel ist, dass obwohl alle meine Kurse auf Englisch sind (manchmal das
komplette Department), ich dennoch das Gefühl habe, fast immer derjenige mit
dem besten Englisch im Raum zu sein. Natürlich gibt es bessere und schlechtere
Englisch-sprecher, doch hatte ich eigentlich erwartet, dass Studenten die sich jede Woche biochemische
Vorlesungen über Proteine und Enzyme auf Englisch anhören in der Lage sind, mir
einfache Fragen wie „In which room will be the class next week?“ problemlos zu
beantworten. Das war aber nicht immer der Fall. Fakt ist, dass aufs Sprechen offensichtlich
kein Wert gelegt wird, deswegen keine Praxis besteht und viele zudem sehr
schüchtern im Gebrauch fremder Sprachen sind und deswegen einfach überhaupt
nichts sagen. Das finde ich natürlich sehr schade, da ich mir eigentlich
erhofft hätte mehr Kontakt zu meinen Kommilitonen zu haben. In wie weit der
Unterricht inhaltlich verstanden wird ist mir bis jetzt immer noch ziemlich
unklar.
Die Klassen in denen ich war haben eine angenehme Größe zwischen ca. 9
– 50 Studenten, sodass es zu keinen überfüllten Hörsälen kommt. Wobei es
Hörsäle auch nicht gibt. Es gibt Klassenräume die mich manchmal sehr stark an
Heinz Rühmann’s Feuerzangenbowle erinnern. Richtig inspirierend und vor
Allem gemütlich ohne Ende. Tiefenentspannt musste ich mich immer schon nach 1
1\2 Stunden aus diesen ergonomischen Sitzbänken erheben. Also weg vom
Klassenzimmer und rein ins Labor. Die einzigen Laborstunden die ich jede Woche
einmal hatte waren leider unendlich langweilig. 12 Leute machen einen
super einfachen Versuch gemeinsam, bei dem sowieso schon die Hälfte von den Assistenten
vorbereitet wurde. Da ist mir das selbstständige Arbeiten in Deutschland doch
um einiges lieber, auch wenn es wesentlich anstrengender, zeitaufwendiger und stressiger ist. Es ist
zumindest keine pure Zeitverschwendung.
Mal davon abgesehen wurde ich in Allen meinen Kursen von
meinen Mitstudenten (soweit die Sprachbarriere überwunden werden konnte) wirklich
sehr sehr herzlich aufgenommen. Vielen Dank dafür! Es gab immer irgendjemanden
der mit mir englisch reden konnte und das auch tat! Zudem wurde mir bei Frage
jeglicher Art immer extrem gut geholfen. Teilweise wurde mir sogar so viel
Freundlichkeit entgegengebracht, dass es mir schon fast peinlich war. Wenn ich
Vorlesungen verpasst habe und mir beim nächsten Mal Mitstudenten ungefragt eine
Kopie ihrer eignen Notizen der letzten Stunde in die Hand gedrückt haben. Auch
war ich in allen meinen Kursen immer der einzige Erasmus Student, sodass ich
für die anderen doch etwas exotisch und wahrscheinlich auch interessant war.
Natürlich sind das nur ein paar meiner eignen Erfahrungen
und wenn man sich etwas in der großen Welt des kleinen Erasmus-Universums
umhört, wird man schnell feststellen, dass die einzelnen Meinungen und Erfahrungen
weiter auseinander gehen als dicke Menschen in Amerika.
Als Erasmus Student genießt man sowieso ungeahnt viele
Freiheiten, weil man irgendwie über diesem ganzen Uni-system steht und nur so
ein abstrakter Teil davon ist, der irgendwie mit hineingewurschtelt wird. Im
Grunde weiß niemand was genaues, deswegen ist alles erlaubt, nichts klappt und am Ende hats dann doch jeder hingegricht. So konnte ich, wie
oben schon erwähnt mich aus sämtlichen Departments mit Kursen bedienen und auch
die Anwesenheitspflicht, die ich manchen Kursen tatsächlich herrscht, wurde bei
mir nicht so streng genommen. Da ich hier in Istanbul auch nicht also
ordentlicher Student eingeschrieben bin, wie ich das ganz offiziell in Würzburg
bin, habe ich natürlich auch versucht alles etwas lockerer anzugehen. So bin ich doch im Großen und Ganzen recht
elegant mit mittelmäßigem Aufwand durch dieses Semester geglitten.
Fachlich, muss ich zugeben, hat sich der Input hier eher auf
ein Minimum beschränkt, allerdings soll das nicht heißen ich hätte in den
letzten 5 Monaten nichts gelernt! Vielleicht habe ich sogar mehr gelernt als
die letzten 2 Jahre in Würzburg. Es lässt sich nun mal nicht Alles Gelernte
direkt messen und als schwarze Zahl auf einen weißen Zettel schreiben. Statt
sich dem Leistungsdruck des Bachelorsystem zu beugen, hatte ich hier wieder
viel öfter die Chance das Leben an sich zu studieren, wahrzunehmen, mich weiter
zu entwickeln, verschiedenste Eindrücke zu sammeln, mich mit Menschen zu
umgeben die mich inspirieren und meine Blicke auf Dinge zu richtigen für die
ich mich wirklich gerade in diesem Moment interessiere. Ich habe angefangen
eine Sprache zu lernen die mir vor 5 Monaten noch komplett unbekannt war. Und
natürlich bin immer noch sehr sehr weit davon entfernt türkisch fließend zu
sprechen, aber dafür dass ich im Prinzip keinen Sprachkurs habe und auf der
Straße gelernt habe bin ich doch mit meinem Fortschritt im Großen und Ganzen
echt zufrieden. Irgendwie ist es einfach schön im gebrochenem Tarzan-türkisch
Smalltalks mit Verkäufern, meinem Mitbewohner oder irgendwelchen Leuten in der
Uni zu führen. Der langweilige Smalltalk von banalen Dingen wird plötzlich
wieder spannend und erfrischend. .
Außerdem habe ich viel über eine Kultur, Religion und
Menschen gelernt über die zur Zeit jede Woche mindestens eine Talkshow im
Fernsehen läuft, um zum 100sten Mal zu diskutieren, welche Ängste und Sorgen berechtigt
sind und wie gefährlich der Nahe, der Mittlere und anders entfernte Osten denn
nun wirklich sind. Da ich leider kein sogenannter „Experte“ bin, kann ich keine
Antwort auf diese Frage geben. Ich fühle mich hier jedenfalls sicher. Jedenfalls
gibt es hier keinerlei Gründe, weswegen ich hier aufgrund meiner Herkunft Angst
haben müsste. Zu meinem Glück scheint die PAGCM –
Bewegung (Patriotische Anatolier gegen die Christianisierung des Morgenlandes) nicht so richtig in Gang zu kommen. Die Probleme, die Wut und der Ärger
der Menschen richtet sich eher weniger auf die Ausländer, als vielmehr auf Bewegungen
innerhalb des Landes: Türken und Kurden, rechts oder links, konservativ und
modern, streng religiös oder säkularisiert; Auch die türkische Suppe brodelt
und Küchensultan Erdoğan rührt dort herum wie es ihm gefällt.
Während meiner Zeit in Istanbul, musste ich doch
überraschenderweise feststellen, dass es auch hier in der Türkei sowohl
unglaublich tolle, freundliche und interessante Menschen auf der einen und
komplette Vollidioten auf der Anderen Seite gibt. Surprise, Surprise. Dahingehend
unterscheidet es sich also kein Stück von Deutschland. Im
Gegenteil, bei kleinen Smalltalks mit Leuten auf der Straße freuen sich die
Menschen meistens, erzählen mir von ihren Verwandten in Deutschland oder fragen
interessiert aus welche Stadt ich den komme. Hier kommt mir doch eher ein
Ausländerbonus zu Gute und das hilflose Gestottere einer fremden Sprache wirkt
wohl irgendwie sympathisch. Allerdings bin ich auch ein Mann und bekomme den
Sexismus, den es hier definitiv gibt, zumindest nicht am eignen Leib zu spüren.
Nach diesem ganzen Palaver bin noch
nicht einmal dazu durchgedrungen irgendwas von meinem Alltag hier zu erzählen.
Weiß noch nicht mal ob es jemanden interessiert. Aber was soll man denn schon
groß zum Alltag schreiben?
Ich habe viele Menschen getroffen, manche sind Freund
geworden.
Wir haben getanzt, gelacht gesungen am Tag und in der Nacht.
Gekocht, gegessen und getrunken, was man halt so macht.
Viele kommen, viele gehen, doch sind auch einige geblieben.
Man lernt so viel von anderen Menschen, man lernt das Leben
lieben.
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