Sonntag, 8. Februar 2015



Istanbul. 

4 Monate später. 

Studium. Leben. Alltag.



Ich sitze auf dem Bett mit meinem Laptop auf dem Schoss. Viele Gedanken schießen mir durch den Kopf, grobe Themen, schöne Erinnerungen, spannende und verstörende Ereignisse und die ein oder andere Istanbul-Geschichte aus den letzten 4 Monaten. Erst jetzt merke ich wie schwer es doch ist diese Zeit zu bündeln, zu strukturieren und aufs virtuelle Blattpapier zu bringen. Hilfreich zum Lösen dieses Problems könnte das Kerzenlicht, (das gerade ich durch das Flutlicht von Energiesparlampe an der Decke ohne Lampenschirm ersetzt habe) und die sanften inspierenden Töne der Nujabes Musik sein. 

Clever wie ich bin verwende einfach mal den letzten Absatz meines vorherigen Blog-Eintrags als Aufhänger um diesen hier zu starten: Die Frage nach dem Studium. Neben 3 chemischen Fächern  (Biochemie, Organische Chemie und Statistik) habe ich noch einen „türkischen Tanzkurs“, „Einführung in die Psychologie“ und einen „turkish Language-course“  im letzten Semester belegt.
Obwohl ich auch vielen Sachen in meinem deutschen Studium eher kritisch gegenüberstehe und vor Allem mit Aufbau und Organisation nicht besonders glücklich bin,  so ist das im relativen Vergleich mit einigen Sachen die ich hier erlebt habe doch noch ganz in Ordnung.  Verstörend für mich zum Beispiel ist, dass obwohl alle meine Kurse auf Englisch sind (manchmal das komplette Department), ich dennoch das Gefühl habe, fast immer derjenige mit dem besten Englisch im Raum zu sein. Natürlich gibt es bessere und schlechtere Englisch-sprecher, doch hatte ich eigentlich erwartet, dass  Studenten die sich jede Woche biochemische Vorlesungen über Proteine und Enzyme auf Englisch anhören in der Lage sind, mir einfache Fragen wie „In which room will be the class next week?“ problemlos zu beantworten. Das war aber nicht immer der Fall. Fakt ist, dass aufs Sprechen offensichtlich kein Wert gelegt wird, deswegen keine Praxis besteht und viele zudem sehr schüchtern im Gebrauch fremder Sprachen sind und deswegen einfach überhaupt nichts sagen. Das finde ich natürlich sehr schade, da ich mir eigentlich erhofft hätte mehr Kontakt zu meinen Kommilitonen zu haben. In wie weit der Unterricht inhaltlich verstanden wird ist mir bis jetzt immer noch ziemlich unklar. 
Die Klassen in denen ich war haben eine angenehme Größe zwischen ca. 9 – 50 Studenten, sodass es zu keinen überfüllten Hörsälen kommt. Wobei es Hörsäle auch nicht gibt. Es gibt Klassenräume die mich manchmal sehr stark an Heinz Rühmann’s Feuerzangenbowle erinnern. Richtig inspirierend und vor Allem gemütlich ohne Ende. Tiefenentspannt musste ich mich immer schon nach 1 1\2 Stunden aus diesen ergonomischen Sitzbänken erheben. Also weg vom Klassenzimmer und rein ins Labor. Die einzigen Laborstunden die ich jede Woche einmal hatte waren leider unendlich langweilig. 12 Leute machen einen super einfachen Versuch gemeinsam, bei dem sowieso schon die Hälfte von den Assistenten vorbereitet wurde. Da ist mir das selbstständige Arbeiten in Deutschland doch um einiges lieber, auch wenn es wesentlich anstrengender, zeitaufwendiger und stressiger ist. Es ist zumindest keine pure Zeitverschwendung.

Mal davon abgesehen wurde ich in Allen meinen Kursen von meinen Mitstudenten (soweit die Sprachbarriere überwunden werden konnte) wirklich sehr sehr herzlich aufgenommen. Vielen Dank dafür! Es gab immer irgendjemanden der mit mir englisch reden konnte und das auch tat! Zudem wurde mir bei Frage jeglicher Art immer extrem gut geholfen. Teilweise wurde mir sogar so viel Freundlichkeit entgegengebracht, dass es mir schon fast peinlich war. Wenn ich Vorlesungen verpasst habe und mir beim nächsten Mal Mitstudenten ungefragt eine Kopie ihrer eignen Notizen der letzten Stunde in die Hand gedrückt haben. Auch war ich in allen meinen Kursen immer der einzige Erasmus Student, sodass ich für die anderen doch etwas exotisch und wahrscheinlich auch interessant war.
Natürlich sind das nur ein paar meiner eignen Erfahrungen und wenn man sich etwas in der großen Welt des kleinen Erasmus-Universums umhört, wird man schnell feststellen, dass die einzelnen Meinungen und Erfahrungen weiter auseinander gehen als dicke Menschen in Amerika.
Als Erasmus Student genießt man sowieso ungeahnt viele Freiheiten, weil man irgendwie über diesem ganzen Uni-system steht und nur so ein abstrakter Teil davon ist, der irgendwie mit hineingewurschtelt wird. Im Grunde weiß niemand was genaues, deswegen ist alles erlaubt, nichts klappt und am Ende hats dann doch jeder hingegricht. So konnte ich, wie oben schon erwähnt mich aus sämtlichen Departments mit Kursen bedienen und auch die Anwesenheitspflicht, die ich manchen Kursen tatsächlich herrscht, wurde bei mir nicht so streng genommen. Da ich hier in Istanbul auch nicht also ordentlicher Student eingeschrieben bin, wie ich das ganz offiziell in Würzburg bin, habe ich natürlich auch versucht alles etwas lockerer anzugehen.  So bin ich doch im Großen und Ganzen recht elegant mit mittelmäßigem Aufwand durch dieses Semester geglitten.

Fachlich, muss ich zugeben, hat sich der Input hier eher auf ein Minimum beschränkt, allerdings soll das nicht heißen ich hätte in den letzten 5 Monaten nichts gelernt! Vielleicht habe ich sogar mehr gelernt als die letzten 2 Jahre in Würzburg. Es lässt sich nun mal nicht Alles Gelernte direkt messen und als schwarze Zahl auf einen weißen Zettel schreiben. Statt sich dem Leistungsdruck des Bachelorsystem zu beugen, hatte ich hier wieder viel öfter die Chance das Leben an sich zu studieren, wahrzunehmen, mich weiter zu entwickeln, verschiedenste Eindrücke zu sammeln, mich mit Menschen zu umgeben die mich inspirieren und meine Blicke auf Dinge zu richtigen für die ich mich wirklich gerade in diesem Moment interessiere. Ich habe angefangen eine Sprache zu lernen die mir vor 5 Monaten noch komplett unbekannt war. Und natürlich bin immer noch sehr sehr weit davon entfernt türkisch fließend zu sprechen, aber dafür dass ich im Prinzip keinen Sprachkurs habe und auf der Straße gelernt habe bin ich doch mit meinem Fortschritt im Großen und Ganzen echt zufrieden. Irgendwie ist es einfach schön im gebrochenem Tarzan-türkisch Smalltalks mit Verkäufern, meinem Mitbewohner oder irgendwelchen Leuten in der Uni zu führen. Der langweilige Smalltalk von banalen Dingen wird plötzlich wieder spannend und erfrischend.  .  
Außerdem habe ich viel über eine Kultur, Religion und Menschen gelernt über die zur Zeit jede Woche mindestens eine Talkshow im Fernsehen läuft, um zum 100sten Mal zu diskutieren, welche Ängste und Sorgen berechtigt sind und wie gefährlich der Nahe, der Mittlere und anders entfernte Osten denn nun wirklich sind. Da ich leider kein sogenannter „Experte“ bin, kann ich keine Antwort auf diese Frage geben. Ich fühle mich hier jedenfalls sicher. Jedenfalls gibt es hier keinerlei Gründe, weswegen ich hier aufgrund meiner Herkunft Angst haben müsste. Zu meinem Glück scheint die PAGCM – Bewegung (Patriotische Anatolier gegen die Christianisierung des Morgenlandes) nicht so richtig in Gang zu kommen. Die Probleme, die Wut und der Ärger der Menschen richtet sich eher weniger auf die Ausländer, als vielmehr auf Bewegungen innerhalb des Landes: Türken und Kurden, rechts oder links, konservativ und modern, streng religiös oder säkularisiert; Auch die türkische Suppe brodelt und Küchensultan Erdoğan rührt dort herum wie es ihm gefällt.  

Während meiner Zeit in Istanbul, musste ich doch überraschenderweise feststellen, dass es auch hier in der Türkei sowohl unglaublich tolle, freundliche und interessante Menschen auf der einen und komplette Vollidioten auf der Anderen Seite gibt. Surprise, Surprise. Dahingehend unterscheidet es sich also kein Stück von Deutschland. Im Gegenteil, bei kleinen Smalltalks mit Leuten auf der Straße freuen sich die Menschen meistens, erzählen mir von ihren Verwandten in Deutschland oder fragen interessiert aus welche Stadt ich den komme. Hier kommt mir doch eher ein Ausländerbonus zu Gute und das hilflose Gestottere einer fremden Sprache wirkt wohl irgendwie sympathisch. Allerdings bin ich auch ein Mann und bekomme den Sexismus, den es hier definitiv gibt, zumindest nicht am eignen Leib zu spüren. 
  
Nach diesem ganzen Palaver bin noch nicht einmal dazu durchgedrungen irgendwas von meinem Alltag hier zu erzählen. Weiß noch nicht mal ob es jemanden interessiert. Aber was soll man denn schon groß zum Alltag schreiben? 

Ich habe viele Menschen getroffen, manche sind Freund geworden.
Wir haben getanzt, gelacht gesungen am Tag und in der Nacht.
Gekocht, gegessen und getrunken, was man halt so macht.
Viele kommen, viele gehen, doch sind auch einige geblieben.
Man lernt so viel von anderen Menschen, man lernt das Leben lieben.   

Altes Schloss am Schwarzen Meer

Semmelknödel in Istanbul!

*Lalalalala*

Selbstgemachtes Cigköfte!

Kill the Kürbis.

Probiert syrisches Essen! Das Beste auf der Welt.

Unbekannte Getränke bestellt. Wer hat wohl das bessere erwischt??



Neujahr. Stürmisch und ein klitzekleines bisschen Schnee.